Alles gut mit Gutenberg?
Der Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Lettern ist der Namenspatron eines völlig neuen Editors für WordPress. Bereist seit geraumer Zeit wird das Projekt hitzig diskutiert. Was steckt dahinter?
Schon seit Anfang des Jahres wird an dem völlig neuen, nach Johannes Gutenberg benannten, Editor gebastelt. Es ist ein Mammut-Projekt, das die Erstellung von Inhalten mit WordPress revolutionieren soll. Und genau darin liegt die Ursache für die kritischen Stimmen.
Es stimmt, der derzeitige WordPress Editor erscheint heute vielleicht etwas antiquiert und ein Aufputz schadet ganz bestimmt nicht. Und selbstverständlich ist irgendwann einmal ein Punkt erreicht, an dem es einfach Sinn macht, sich von bisher Gewohntem zu trennen und auf etwas Neues zu setzen. Die Entscheidung für einen komplett neuen Editor ist durchaus nachvollziehbar. Ein Großteil der Kritik an #gutenberg bezieht sich darauf, dass der neue Editor mit #wpversion 5.0 zum Standard werden und der bisher gewohnte Editor abgelöst werden soll. Zumindest sieht der derzeitige Plan so aus.
Beim Start von Gutenberg fällt das aufgeräumte Interface auf. Optisch wirkt der neue Editor auf jeden Fall frischer und zeitgemäßer.
Manch einer mag die permanent sichtbare Formatierungsleiste des derzeit von WordPress verwendeten Editors TinyMCE vermissen. Gutenberg blendet bei Bedarf eine Leiste ein, die nur die im jeweiligen Kontext verwendbaren Optionen enthält. Das ist einerseits Geschmackssache und andererseits meiner Meinung nach nur eine Frage der Gewohnheit. Diesbezügliche Kritik kann ich persönlich nicht nachvollziehen. Beides ist gleichermaßen funktional.
Die Grundidee von Gutenberg ist das Arbeiten mit Blöcken. Darin liegt der große Unterschied zum bisherigen Editor #tinymce. Derzeit funktioniert das Schreiben von Inhalt ähnlich wie in Word bzw. jedem anderen Textverarbeitungsprogramm. Das Dokument verhält sich wie ein leeres Blatt Papier auf das man jeden beliebigen Inhalt schreiben kann. Gutenberg hingegen kennt verschiedene Inhaltstypen und für jeden Typ muss jeweils ein neuer Block angelegt werden. Das funktioniert zwar ganz einfach und intuitiv, unterscheidet sich aber dennoch stark von der bisherigen Arbeitsweise.
Der Block-basierte Ansatz löst ein altes WordPress Problem. Künftig können nämlich dann auch Widgets ganz einfach als eigene Blöcke in den Text eingefügt werden. Damit stehen Widgets nicht mehr nur in Sidebars (oder je nach Theme sonstigen Widget Bereichen) zur Verfügung sondern eben auch im Text. Ob künftig alle verfügbaren Widgets auch automatisch in Gutenberg verwendbar sein werden oder ob es bestimmte Voraussetzungen gibt, welche Widgets im Text verwendet werden können, ist noch nicht ganz klar. Zumindest habe ich dazu noch nichts gefunden. Aber schon jetzt lässt sich mit Gutenberg beispielsweise eine Liste der letzten Blog-Beiträge ganz einfach als Block in den Text einfügen.
Die Integration von Widgets ist eine feine Sache. Anders als bei der bisher gewohnten Verwendung von Shortcodes ist das Ergebnis in Gutenberg sofort visuell sichtbar. Mit seinem neuen Ansatz macht Gutenberg einen Schritt weg vom reinen Editor in Richtung Page Builder. In Anbetracht der steigenden Beliebtheit von Page Buildern auch ein logischer Schritt. Vielschreiber hingegen wünschen sich eher einen einfachen Editor, in dem sie leicht und schnell ihre Texte tippen können. Gerade diesbezüglich gab es anfangs viel Kritik. Mittlerweile hat das Gutenberg-Projekt hier aber auch Fortschritte gemacht. Gutenberg startet bereits mit einem leeren Textblock. Man muss also den ersten Block nicht erst anlegen sondern kann sofort mit dem Tippen beginnen. Und mit zweimaligem Drücken der Eingabe-Taste wird automatisch ein neuer Textblock angelegt.
Ein großes Fragezeichen gibt es noch bezüglich der Rückwärtskompatibilität von Gutenberg mit bereits bestehenden Texten. Wenn Gutenberg tatsächlich wie zumindest derzeit geplant der neue Editor von WordPress werden soll, ist das ein enorm wichtiger Punkt, der von den Entwicklern zufriedenstellend gelöst werden muss. Gutenberg macht auf mich bereits jetzt einen recht guten Eindruck. Allerdings wird damit doch ein radikal anderer Ansatz als bisher verfolgt. Die Kritik diesbezüglich ist für mich absolut nachvollziehbar. Viele fordern daher, dass der alte Editor bleiben und Gutenberg optional aktivierbar werden soll.
Derzeit geht aber alles in Richtung einer kompletten Ablösung. In Anbetracht der unzähligen Millionen von WordPress-Installationen ist das alles andere als eine Kleinigkeit. Damit das halbwegs reibungslos funktioniert und nicht überwiegend böses Blut macht ist bestimmt noch viel Arbeit zu tun. Bei einer tatsächlichen vollständigen Umstellung mit WordPress 5.0 auf Gutenberg wird es mit Sicherheit einige unzufriedene Anwender geben. Das lässt sich nicht verhindern. Aber man darf natürlich nicht die Masse der Anwender verärgern.
Genau dieser geplante radikale Schnitt ist der größte Anlass zur Kritik an Gutenberg. Das Projekt befindet sich noch im Beta-Stadium und der Editor ist bestimmt noch nicht perfekt. Tatsächlich sieht er aber schon sehr gut aus. Würde Gutenberg als zusätzlicher Editor eingeführt werden, würden die positiven Stimmen wahrscheinlich bei Weitem überwiegen. So hingegen ist die Stimmung in der Community durchwachsen. Der Wunsch, sich radikal von Altem zu trennen und sich nur mehr auf das Neue zu konzentrieren, ist für mich völlig nachvollziehbar. Eine für alle bestehenden Nutzer halbwegs schmerzfreie Umstellung hinzubekommen ist mit Sicherheit ein Drahtseilakt.
Derzeit steht Gutenberg als Plugin zu Verfügung, sodass sich jeder Interessierte bereits einen Eindruck verschaffen kann. Allerdings wird auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um eine Beta-Version handelt und dass das Plugin aus Sicherheitsgründen deshalb nicht in einer produktiven Umgebung eingesetzt werden sollte. Wer sich Gutenberg selbst ansehen möchte, sollte daher unbedingt eine Testinstallation aufsetzen.
Nachdem ich in diesem Artikel die grundsätzliche Problematik, mit der Gutenberg als neuer Editor zu kämpfen hat, beleuchtet habe, werde ich im nächsten Artikel die aktuelle Version von Gutenberg etwas vorstellen. Dabei werde ich nur darauf eingehen, was der Editor derzeit schon kann und mich nicht mit Kritikpunkten auseinandersetzen.